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Artikel Tagged ‘Rory Kinnear’

Die Britcom-DVDs des Jahres

3. Dezember 2013 Keine Kommentare

Hier kommt das alljährliche Humorkritik Spezial zu den DVD-Neuerscheinungen der Saison, so wie es in der aktuellen Titanic drin steht. Wer das Blog regelmäßig verfolgt, weiß eh schon alles — für alle anderen steht’s jetzt hier noch mal zum Nachlesen.

Die große Britcom-Koalition ist da!

Wir haben mal eben für Sie gewählt: Hier sind die besten Comedy-DVDs aus Großbritannien. Eines ist klar: they rule! In welchem Quatschministerium jeweils, das verrät Ihnen Britcom-Wahlexperte Oliver Nagel

Das ist eine Überraschung: absolute Mehrheit für die BBC! Nachdem im vorvergangenen Jahr Rupert Murdochs Bezahlsender Sky fast in allen Comedy-Wahlkreisen die Abstimmungen für sich gewinnen konnte, hat die alte Tante BBC 2013 wieder die Nase vorn. Nicht zuletzt, weil sie viele Themen besetzen konnte, die den Wähler interessierten: den Kriegseinsatz in Afghanistan (»Bluestone 42«) und Sterbehilfe (»Way to Go«), aber auch Integration islamischer Menschen in die westliche Gesellschaft (»Citizen Khan«) und Familie (»Family Tree«). Da blieb auch für ITV, das auf die Themen Arbeitsmarkt (»The Job Lot«) und Gleichstellung von Homosexuellen (»Vicious«) setzte, nur die Opposition – während Sky gleich ganz aus dem Fernsehparlament geflogen ist.

Aber der Reihe nach. Die wichtigste Rolle in der künftigen Britcom-Regierung wird wohl »The Wrong Mans« (BBC Two) spielen. Denn James Corden und Mathew Baynton (beide »Gavin & Stacey«-elder statesmen) schaffen es in diesem Agenten-Pastiche, mit den Versatzstücken des Genres zu spielen, ohne es dabei zu zerstören. Und so sieht man ihnen, zwei schnell überforderten städtischen Angestellten, atemlos dabei zu, wie sie sich in einen Entführungsfall verwickeln lassen, der Mi5-Agenten, russische Spione und überbesorgte Mütter auftischt und wieder abräumt, bevor ein einzelner Handlungsstrang zu lang wird. Die Fallhöhe zwischen Dingen, die Agenten eben so tun (etwa von Brücken auf fahrende Züge springen), und dem, wie durchschnittliche städtische Angestellte dieselbe Situation durchstehen (nämlich indem sie sich anschließend unter lautem »Au, au, au«-Heulen den Hintern massieren), hat das BBC2-Publikum mit den höchsten Einschaltquoten einer Comedy seit »Extras« belohnt, und das war immerhin schon 2005. Zu Recht, »The Wrong Mans« ist nämlich trotz seines wenig gelungenen Titels die beste Serie des Jahres und das Jack-Bauer-Ministerium damit besetzt.

Tom Basden, »Wrong Mans«-Co-Autor und -Nebendarsteller, hatte wohl ein gutes Jahr, denn er war in gleicher Funktion bei »Plebs« (ITV2) eingespannt, unserem Kandidaten für das Ministerium für Brot und Spiele. Wer immer schon mal wissen wollte, welche Probleme Jugendliche im alten Rom mit dem Heranwachsen hatten, dem sei die Serie empfohlen. Kleiner Tip: Sie sind heutigen Problemen verblüffend ähnlich. Wer hätte nicht schon mal überlegt, seinen Sklaven einfach vor dem Club stehen zu lassen, wenn man den Eintritt schon kaum für sich selbst bezahlen kann? »Plebs« ist für alle, die bislang ihr Kreuzchen bei »The Inbetweeners« gemacht haben: etwas für die männlichen Jungwähler.

Schöngeistiger geht es da im Dandy-Ministerium bei »Vicious« (ITV) zu: Die beiden Veteranen Sir Ian McKellen (ja, der aus »Herr der Ringe«) und der in England annähernd ebenso berühmte Sir Derek Jacobi geben in dieser ironisch-theatralischen Sitcom ein über die Maßen schwules Paar alternder Schauspieler, die ihre Verarmung mit allerhand Pathos überspielen und eine keineswegs nachlassende Vorliebe für junge Männer haben, namentlich den neuen Nachbarn (Iwan Rheon, »Misfits«, »Game of Thrones«). Altmodisch, live vor Publikum und grell, aber es ist halt immer wieder komisch, wenn sich flamboyante alte Diven gegenseitig beleidigen – zumindest wenn es mit so gewählten Worten wie hier geschieht und von altehrwürdigen Charakterdarstellern wie diesen gespielt wird.

Ebenfalls ein alternder Bühnenkünstler, aber mit viel gröberen Strichen gezeichnet, ist »Count Arthur Strong« (BBC Two). Er nervt, und zwar sehr – erst mal seine Umwelt, insbesondere Michael (Rory Kinnear), der ein Buch über Arthur (Steve Delaney) schreiben möchte, dann aber auch so manchen Zuschauer. Eine echte Marmite-Comedy: Man liebt sie oder haßt sie so wie den bitteren Brotaufstrich. Wahrscheinlicher, daß man sie liebt, wenn man »Father Ted« und/oder »Black Books« und/oder »The IT Crowd« mochte, denn »Count Arthur Strong« stammt nicht nur aus der Feder seines Darstellers, sondern auch von Graham Linehan. Der ist für einen eher albernen Humor bekannt, und doch schafft es Arthur in der zweiten Hälfte der Staffel auch in die Herzen seiner Zuschauer – obwohl er natürlich Quälgeist bleibt.

Sehr viel leiser dagegen geht es im Melancholie-Ministerium zu: »The Mimic« (Channel 4) ist die Studie eines höchst begabten Stimmenimitators (Terry Mynott), der seinem unterwältigenden Alltag mehr Pep verleiht, indem er ihn in den Rollen zahlloser Promis erlebt – bis ihn das überraschende Zusammentreffen mit seinem erwachsenen Sohn dazu zwingt, sich mit sich selbst zu beschäftigen. Nicht ganz so ernst, wie es hier klingen könnte, sondern bisweilen sehr komisch, wenn Martin etwa mit der Stimme von Sir David Attenborough sein Privatleben als Wildlife-Dokumentation kommentiert.

Das Familienministerium geht an »Family Tree« (BBC Two) von Christopher Guest (siehe Humorkritik in Titanic 10/13).

»Ambassadors« (ebenfalls BBC Two) besetzt das Außenministerium in diesem Comedykabinett. David Mitchell und Robert Webb (»Peep Show«) ist ein dreiteiliges Comedy-Drama gelungen, das sophisticated und komisch zugleich ist. Niemand kann treuherziger gucken als David Mitchell, hier in der Rolle eines frisch ins Amt gehobenen Botschafters im fiktiven Tazbekistan, und niemand genervter als Webb, der hier den langgedienten stellvertretenden Chefdiplomat gibt und als solcher der Botschafter-Ehefrau Fragen nach dem Vorgänger ihres Mannes beantworten muß: »Does anyone know what actually happened to Keith’s predecessor?« — »Someone from the Cabinet Office thought they saw him recently in Phuket in a transvestite hammam. But technically he’s just missing.« — (Pause) »What was someone from the Cabinet Office doing in…?« Leider erscheint »Ambassadors« nicht mehr in diesem Jahr auf DVD.

Das Kultusministerium geht zu guter Letzt an David Walliams (»Little Britain«), der mit seiner ersten Sitcom »Big School« (BBC One) keinen ganz großen Wurf geschafft hat, aber eine solide, altmodische Sitcom, die wohl eine zweite Legislaturperiode erleben dürfte.

Acht gute bis sehr gute neue Comedys, das ist ein solides Wahlergebnis (von den zweiten und dritten Staffeln anderer Serien mal ganz zu schweigen) – da vergißt man schwache Kandidaten (wie Stephen Merchants fade Männer-Frauen-Sitcom »Hello Ladies«) schnell. Die Wahlparty kann beginnen! Und damit zurück ins Studio.

Count Arthur doch recht Strong

20. August 2013 Keine Kommentare

Wir sehr Kritiker mit ihren Rezensionen neuer Shows daneben liegen können, hat Ricky Gervais unlängst dokumentiert, als er die allererste Besprechung von „The Office“ im Evening Standard noch einmal herausgekramt hat, die am 10. Juli 2001 erschienen ist:

A summer stinker; ‘A bore in homeopathic doses can be hilarious, but a bore in real time remains simply a bore’.

Zum Glück war ich ein bisschen vorsichtiger, als ich die erste Folge „Count Arthur Strong“ (BBC2) vor fünf Wochen kritisiert habe. Denn trotz (oder, meiner Vermutung nach: wegen) einer gut abgehangenen, für BBC-Radiohörer längst eingeführten Comedy-Figur und trotz Coautorenschaft des von mir durchgehend bewunderten Graham Linehan („Father Ted“, „Black Books“, „The IT Crowd“) hatte mir die erste Episode rund um den alternden Variete-Star Arthur Strong, der sich stets ein bisschen überschätzt, eher nicht zugesagt.

Das hat sich, um es vorsichtig zu formulieren, geändert. Mittlerweile halte ich „Count Arthur Strong“ für eine der stärkeren neuen BBC-Sitcoms dieses Jahres (eigentlich für die einzige wirklich gute neben „Family Tree“; „Plebs“ und „Vicious“ liefen auf ITV, „The Mimic“ auf Channel 4), und es freut mich, dass die Serie sehr früh schon eine zweite Staffel erhalten hat. Und dass die DVD der ersten trotzdem bereits erhältlich ist (auf Amazon mag ich allerdings nicht mehr verlinken, kann sich ja jeder selbst zusammensuchen).

Der Sinneswandel kam so: Ich hatte die erste Folge „Count Arthur Strong“ alleine gesehen, die zweite aber mit der Frau zusammen — und die war, so unsere einhellige Meinung, sehr komisch: ein typischer Linehan-Plot inklusive einer Flucht in einem Ice Cream Van (der mich selbstverständlich an die „Father Ted“-Folge „Speed 3“ erinnerte, nur dass dort ein Milchlieferwagen eine entscheidende Rolle spielte), typische Linehan-Dialoge (Michael [liest einen handgeschriebenen Pinnwand-Aushang Arthurs]: „Horse rising lesions? What are horse rising lesions?“ Arthur: „What? Well, it’s when you get a horse and you… Give that to me. — Handwriting lessons!“) und das Internet/ein Laptop als Element der Story („I’ll tell that Stephen Fry what I think of him!“) — das war alles schön albern, dabei aber von einer zunehmend warmen Figurenzeichnung getragen, so dass man als Zuschauer schnell Zuneigung zu den beiden Protagonisten Arthur und Michael gewinnen konnte.

Es hat also die erste Folge gar nicht gebraucht, zumindest nicht für die Frau. Was sie wissen musste, um das Set Up zu verstehen (Arthur ein alternder Varietekünstler, Michael der Biograph seines gerade verstorbenen Vaters Max, mit dem Arthur vor Zeiten einen gemeinsamen Double Act hatte), konnte ich ihr in zwei Sätzen erklären. Ohne den Ballast der Einführung in der ersten Folge aber hatten Linehan und Steve Delaney, der den Arthur nicht nur spielt, sondern auch entwickelt hat, alle Freiheiten, direkt mit per se komischen Storys aufzuwarten. Von diesen war dann die eine durchaus etwas schwächer als die andere, aber insgesamt war „Count Arthur Strong“ eine deutlich bessere Serie, als ich es nach der Pilotfolge erwartet hatte.

In der nämlich war die Chemie zwischen den Hauptfiguren eine andere als in den weiteren Folgen: Michael (Rory Kinnear) kommt da eher als weinerlicher und missgünstiger Typ rüber, der Arthur zunächst belächelt und ihn dann ausnutzen möchte, um die Gedenkfeier für den ungeliebten Vater zu torpedieren. Erst ab der zweiten Folge funktionieren Michael und Arthur wirklich als Odd Couple, als das sie vermutlich von Anfang an geplant waren: ab da ist Michael wesentlich sympathischer, und Arthur vielleicht einen Ticken weniger nervig als in der ersten Folge.

Vielleicht, das ist aber reine Spekulation, war die maue erste Episode auch Folge eines Kompromisses zwischen Linehan und Delaney und/oder der BBC. Denn an und für sich ist Linehan kein Freund des zur Zeit sehr modischen Premise Pilot, in dem erst einmal erzählt wird, wie die Ausgangssituation für die darauf folgende Serie zustande gekommen ist. (Ausführlicher habe ich darüber mal am Beispiel von „Cuckoo“ geschrieben.) Wie man hier sehen kann, zu Recht: Die Einführung von Michael als neue Figur, die zu dem bestehenden Ensemble aus Arthur und seinen Freunden im Café dazukommt, hätte deutlich kürzer sein können, dann wäre vielleicht auch in der ersten Episode schon Zeit gewesen, eine ganz reguläre kleine Story mit einzubauen, die die chemische Balance der Hauptfiguren ad hoc herstellt, statt erst in der zweiten Folge.

Um es aber noch einmal ganz explizit hinzuschreiben: „Count Arthur Strong“ ist eine gute Sitcom, Graham Linehan kann es noch, und Delaneys Arthur ist ein wirklich komischer Charakter, von dem ich gerne mehr sehen würde.

Count Arthur not so Strong

Es ist so eine Sache mit Kultfiguren. Von einigen heiß geliebt, erschließt sich einem großen Publikum die Begeisterung nicht, mit der Fans ihren Lieblingen zujubeln. Am Ende ist es möglicherweise genau der Kultstatus, der eine breite Rezeption verhindert, weil alle, die nicht rechtzeitig zur Abfertigung am Bahnhof waren, irgendwann glauben, für sie sei der Zug ohnehin abgefahren. Und natürlich tun die Fans der ersten Stunde alles dafür, ihren Vorsprung zu erhalten und sich abzugrenzen („Damals war er noch lustig, da hättest du dabei sein müssen!“).

Ich habe so die Vermutung, dass genau das mit „Count Arthur Strong“ (BBC2, seit dem 8. Juli) passiert ist.

Count Arthur Strong, hinter dem der Comedian Steve Delaney steckt, ist die Karikatur eines alternden Show-Mannes, der nie so erfolgreich war, wie er selbst denkt. Mittlerweile in seinen 70ern, glaubt er immer noch, es könnte jeden Moment ein Anruf kommen, der ihm Variete-Auftritte und Ruhm einbringt. Arthur scheint einerseits an einem ausgewachsenen Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom zu leiden, andererseits ist er offenbar äußerst vergesslich, dabei auch noch grenz-unhöflich und tollpatschig. Also eine Comedy-Figur der alten Schule.

Entwickelt hat Delaney Arthur schon als Schauspielstudent für Shows zum Semesterende, namentlich das alljährliche Edinburgh Festival und das Fringe verhalfen Arthur seit 1997 zu einer kleinen Fangemeinde, und seit Arthurs Radioshow bei Radio 4 (über 40 Folgen seit 2005) hat er eine eigene Gemeinde; die Show gehört zu den festen Pfeilern der Radio-4-Comedy.

Zu dieser Gemeinde gehört auch „Father Ted“- und „IT Crowd“-Schöpfer Graham Linehan, der zusammen mit Delaney seit 2008 an der Serie arbeitet, deren erste Folge nun endlich, endlich zu sehen war —

— und mich vollkommen kalt gelassen hat. Mehr noch: die mich irritiert hat. Denn die große Publikumsbegeisterung (Delaney und Linehan haben erwartbarerweise die altmodische Live-on-Stage-Produktionsweise mit fünf Kameras gewählt) hat sich mir nicht ganz erklärt: die Scherze erschienen mir schal, das ganze Set-up altbacken, die Figuren leblos, wo nicht hölzern. Hat sich also die Figur Arthurs schon zu weit entwickelt, als dass ich (als neues Publikum, mir war er vorher kein Begriff) noch hätte Anschluss finden können? Oder war wiederum genau dieses oben geschilderte Problem der Kultfiguren Delaney und Linehan so bewusst, dass sie für die exzentrische Figur Arthurs eine möglichst altmodisch-anschlussfähige Umgebung schaffen wollten, nämlich die einer altbackenen Sitcom, und dabei über das Ziel hinausgeschossen sind? Interessieren mich alternde Varietekünstler einfach nicht? Oder war es die Transformation einer One-Man-Show aus Liveauftritten und Radioshows ins Fernsehen?

Denn um die Monologe Arthurs, aus denen die Fringe-Shows und die Radioshows bestehen, ins Fernsehen zu übersetzen, haben Delaney und Linehan eine zweite Figur erfunden: Michael (Rory Kinnear) ist der Sohn eines ehemaligen Showpartners Arthurs und möchte die Biographie seines (ungeliebten) Vaters schreiben; zu diesem Zweck begleitet er Arthur und gerät dadurch in dessen bizarre Lebenswelt. Kennt man die Umstände, unter denen die Figur Michaels entstanden ist, liegt die Vermutung nahe, sie habe keine eigene Daseinsberechtigung, sie existiere nicht aus sich selbst heraus. Das stimmt zwar ein bisschen, tatsächlich ist Michael oft Stichwortgeber und Pappkamerad neben Arthur, sozusagen die Personifikation der normalen Welt, durchschnittlich und etwas farblos, neben der Arthur noch mehr schillern kann, noch lauter und noch larger than life wirken.

Aber mir erscheint dieser Kniff trotzdem legitim und auch nicht ohne Beispiel, schließlich stehen in Sitcoms oft absichtlich sehr normale, geerdete Figuren neben glamourös-verrückten (man denke etwa an den Kontrast zwischen Frasier und seinem Vater Martin). Was also ist es, das „Count Arthur Strong“ so schwer und mühsam macht?

Ich glaube, es ist die Figur Arthurs selbst. Ich kann nur noch nicht sagen, ob sie mir zu exzentrisch-verrückt ist oder zu wenig. Vielleicht hatten Linehan und Delaney auch Manschetten, alte (gute) Witze Arthurs zu wiederholen und damit die alten Fans zu indignieren, und haben lieber zu neuen (schwächeren) Witzen gegriffen. Vielleicht sind die besten Zeiten einer so traditionellen Comedy-Figur wie der Arthurs auch einfach vorbei — schließlich entstammt Arthur schon den 80er-Jahren, und auch Linehans Begeisterung für derartige Retro-Comedy könnte mehr Reminiszenz denn künstlerisches Konzept sein. Womöglich sehe ich ja nach der zweiten Folge schon klarer. Dann gebe ich Bescheid.

Very Black Mirror

6. Dezember 2011 Keine Kommentare

Die erste Folge von „Black Mirror“ (Channel 4), der neuen Miniserie von Charlie Brooker, hat mich eher ratlos hinterlassen: „The National Anthem“ war zwar genau die rabenschwarze Satire, die von Brooker zu erwarten war — aber leider nicht so auf den Punkt wie viele seine anderen Arbeiten.

*** ACHTUNG, SPOILER! ***

Der englische Premier Michael Callow (Rory Kinnear) sieht sich von Terrorismus der (haha!) schweinischsten Sorte bedroht: Entführer haben Prinzessin Susannah gekidnappt und drohen über einen nicht zurückverfolgbaren YouTube-Clip damit, sie umzubringen, falls Callow nicht live auf allen Fernsehkanälen ein, ähm, Schwein fickt. Ja, ein lebendes Schwein, bis zum Schluß und mit Wackelkamera gefilmt, damit Motion-Capturing- oder ähnliche Tricks ausgeschlossen sind. Zwar versucht Downing Street, das Erpresservideo nach Kräften aus der Öffentlichkeit fernzuhalten, aber weder YouTube noch Twitter lassen sich als Nachrichtenkanäle trockenlegen, und die ausländischen Medien halten sich natürlich auch nicht an britische restriction orders. Nach mehreren vergeblichen Versuchen, die Zügel wieder in die Hand zu bekommen, und nachdem sich die Öffentlichkeit gegen ihn gestellt hat, bleibt dem Premier nichts übrig: Es kommt, live im Fernsehen, zum Äußersten. Den Zusehern in Pubs, Krankenhäusern und zuhause aber vergeht das Lachen recht schnell. Im Epilog erfahren wir, daß auch ein Jahr später Callow noch an der Macht ist, die Öffentlichkeit hinter ihm steht, seine Frau aber hat sich von ihm abgewendet.

Geschmacklosigkeit ist ein Stilmittel. Ein drastisches, aber nicht von vorneherein ein verwerfliches. Trotzdem ist mir, um mal ein ganz schlimmes Klischee zu bedienen, das Lachen im Hals stecken geblieben — und das ist nun nicht so gut. Denn hier hatte ich das Gefühl, daß das aus noch anderen Gründen war als nur, weil „The National Anthem“ erschreckend weit jenseits aller sonst gültigen Geschmacksgrenzen sogar des englischen Fernsehens operierte (was wohl nur Charlie Brooker schafft).

Da waren einfach von Anfang an Fragen der Plausibilität, die zu schwerwiegend waren, als daß man sie einfach des hübschen Gedankenspiels wegen zur Seite legen konnte: Seit wann verhandeln Politiker mit Terroristen? Gerade wenn man einen so realistischen Ansatz wählt wie Brooker hier, ohne tongue in cheek, sondern mit einer allgegenwärtigen Beklemmung, die sich auf den Zuschauer überträgt, einen Ansatz ähnlich wie den von „The Thick of It“, aber mit einem viel dramatischeren Plot — dann muß eine so grundliegende Frage geklärt sein. Ebenso wie das Verhalten der Öffentlichkeit. Gut, Brookers Botschaft, die Öffentlichkeit ist ein Haufen Kretins, kommt relativ schnell klar rüber, sie ist ja auch seit Jahren die selbe — aber würde die öffentliche Meinung tatsächlich so umschlagen, wären alle so dermaßen cheerful, wie „Black Mirror“ das zeigt, wenn der Premier öffentlich ein Schwein bumst…?

Irgendwie konnte ich das alles nicht recht glauben. Vielleicht, weil ich es selbst nicht sehen wollte — und das ist ja nun Brookers Haupt-Dreh: Einen erst in dem Glauben lassen, man könnte sich guten Gewissens über die gezeigten Medien-Trottel von „Nathan Barley“ oder die Big-Brother-Deppen von „Dead Set“ lustig machen, weil man selbst was besseres sei — und einen dann kalt erwischen, wenn man sich doch mit ihnen identifiziert.

Das soll nun alles nicht heißen, daß die Show insgesamt schlecht gewesen wäre. Da waren sehr schöne Scherze drin: „The Guardian is running a fucking live blog and a short think piece on the historical symbolism of the pig“ bzw. der Hinweis der Beraterin, der Premier solle doch nicht ganz so schnell zum Höhepunkt kommen, weil die Öffentlichkeit sonst denken könnte, er hätte am Ende Spaß an dem Ganzen. Und auch die Darsteller waren allesamt fantastisch, genauso das look and feel der ganzen Episode.

Aber es war alles ein bißchen zu unglaubwürdig und ungemütlich, um so viel Spaß zu machen wie Brookers andere Fiction-Serien. Ein bißchen zu absehbar, ohne große Wendung am Schluß, die nochmal alles rumreißt und zeigt, daß eine ganz andere Perspektive auf die grotesken Vorgänge möglich oder gar zwingend wäre. Vielleicht stellen die verbleibenden zwei Folgen die erste in einen Kontext, der die Serie insgesamt in einem anderen Licht dastehen läßt; allein ich bezweifle es. Schließlich sind alle Episoden in sich abgeschlossen — es wäre also möglich gewesen, eine andere, einleuchtendere erste Folge zu finden.