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Artikel Tagged ‘Ruth Jones’

Familienpest

28. November 2012 Keine Kommentare

Hier das Humorkritik-Spezial aus der aktuellen Titanic mit allen Kaufempfehlungen für’s Weihnachtsfest. Von einer mal abgesehen: Ich würde außer den Sitcoms natürlich jederzeit und dringlichst zu Stewart Lees neuer Stand Up-DVD „Carpet Remnant World“ raten. Ich habe das Programm im Januar in London gesehen, und es ist wieder mal sehr gut — sollte mich wundern, wenn die DVD schlechter wäre.

Es ist trüb und kalt geworden draußen vor der Tür, und das ist nicht nur der wirtschaftlichen Gesamtlage geschuldet, aber auch. Und so wie in Großbritannien das Wetter traditionell noch ein bißchen schlechter ist als hierzulande, so verhält es sich auch mit der Konjunktur: Sie ist auch auf der lustigen Insel nur noch mit viel Alkohol und einer stiff upper lip zu ertragen. Was sich durchaus in der Comedyproduktion niederschlägt.

Tatsächlich haben etliche britische Sitcoms des vergangenen Jahres die Wirtschaftskrise direkt oder indirekt thematisiert: in „The Café“ (Sky1) etwa arbeiten Großmutter, Mutter und Tochter in ihrem kleinen Promenaden-Kaffeehaus am Strand von Weston-super-Mare — bzw. arbeiten eben die meiste Zeit eher nicht, weil kaum noch Gäste kommen. Die jüngste Tochter des Café-Klans ist gerade aus London in ihre kleinstädtische Heimat zurückgekehrt, weil es als Kinderbuchautorin doch nicht geklappt hat, und genau dieses Motiv (hier bearbeitet von Craig Cash und Ralf Little, die schon mit „Royle Family“ Maßstäbe gesetzt haben) findet sich dieses Jahr in verblüffend vielen Sitcoms: die Rückkehr der Boomerang-Generation in ihr Elternhaus.

In „Parents“ (Sky1) ist es eine ganze Familie, nämlich Jenny (Sally Phillips), Nick und ihre Teenager-Kinder, die bei den Großeltern einziehen (müssen), nachdem sie ihren Job verloren hat und seine Geschäftsidee (ein Energydrink für Topmanager) nicht so richtig funktioniert, und in „Cuckoo“ (BBC3) ist es die gerade volljährige Tochter, die nach einem Gap Year aus Thailand zurückkommt — und ihren frisch angetrauten us-amerikanischen Hippiegatten Cuckoo (Andy Samberg, in den USA ein „Saturday Night Live“-Star) gleich mit einziehen lässt.

Der „IT Crowd“-Veteran Chris O’Dowd schließlich verlegt die Krise in seiner ersten eigenen Sitcom gleich dahin, wo sie historisch vertraut ist: ins Irland der späten Achtzigerjahre, wo der „Moone Boy“ (Sky1) Martin, 11, seine Kindheit mit zahllosen Geschwistern verbringt – und mit seinem unsichtbaren Freund (O’Dowd). Der gibt nicht immer kluge Ratschläge, steht Martin aber jederzeit für lange Gespräche zur Verfügung, ganz wie Martins gleichalten Nachbarskindern deren unsichtbare Freunde (u.a. Johnny Vegas als Wrestler). Eine brillante Idee, schön umgesetzt von O’Dowd als Autor, der eigenen Angaben zufolge etliche autobiographische Details verarbeitet hat, und Regisseur Declan Lowney, der mit „Father Ted“ (Channel 4, 1995 – ’98) schon eine unsterbliche irisch-britische Sitcom in seinem Lebenslauf stehen hat. „Moone Boy“, mitproduziert von Steve Coogans Firma Baby Cow (Coogan hat auch einen Gastauftritt) ist herzlich warm und trotzdem höchst komisch — und hat in diesem Text die dringlichste Kaufempfehlung.

Fällt Ihnen eigentlich etwas auf? In der Tat: drei von vier Top-Sitcoms des Jahres 2012 stammen nicht von der BBC, sondern von Sky1. Tatsächlich mausert sich Rupert Murdochs Bezahlkanal in Großbritannien gerade zum Comedylieferant Nummer eins. Das dürfte vor allem auf Lucy Lumsden zurückzuführen sein, die den bis dahin praktisch gesichtslosen Sender als Head of Comedy direkt an die Spitze katapultiert hat. Lumsden war über zehn Jahre Programmchefin der BBC-Comedy, und sie hat es geschafft, überraschend viele überraschend prominente Comedians mitzunehmen, obwohl sie bei diesem bislang doch eher unsympathischen Sender nur noch von einer eingeschränkten Öffentlichkeit wahrgenommen werden.

Zu diesen Stars gehört auch Ruth Jones, Nebendarstellerin und Coautorin der BBC3-Erfolgssitcom „Gavin & Stacey“ (2007 – ’10). Jones hat mit „Stella“ (Sky1) das wohl beste ComedyDrama des Jahres lanciert: eine abermals von Wirschaftsdepressionen und Familienglück geprägte walisische Serie rund um eine alleinerziehende Mutter (Jones), deren Sohn (zu Beginn der Serie) im Gefängnis sitzt, deren Ex sich eine superprollige neue Flamme angelacht hat und deren beste Freundin und Schwägerin, Bestattungsunternehmerin Paula, stets ihre Blutalkoholwerte messen muß, bevor sie sich hinter das Steuer ihres Leichenwagens setzen kann. Wie „The Café“ und „Moone Boy“ zeichnet auch „Stella“ der realistische Stil und die genaue Charakterzeichnung aus; wie alle genannten Serien ist auch diese (für ComedyDramas ist das ohnehin die Regel) mit nur einer Kamera und ohne Livepublikum (also ohne Lacher) gedreht.

Daß kaum noch altmodische Multikamera-Sitcoms gedreht werden, ist fast ein bißchen schade: bei „Me And Mrs Jones“ (BBC1) hätten die Produzenten sonst vielleicht gleich gemerkt, daß die Gags längst nicht so gut sind, wie die Autoren vielleicht dachten. Diese britische Cougar-Variation spielt abermals mit einem Generationenkonflikt: die eigentlich fantastische Sarah Alexander („Coupling“, „Green Wing“) als alleinerziehende Mutter (ja, noch eine alleinerziehende Mutter) und der beste Freund ihres zwanzigjährigen Sohnes, Billy (der ebenso brillante Robert Sheehan, „Misfits“), machen das Leben vieler Menschen unnötig kompliziert, weil sie sich zueinander hingezogen fühlen. Tatsächlich aber glaubt man als Zuschauer keine Sekunde an diese Konstellation, schon weil Alexander tatsächlich alt genug sein könnte, um einen Sohn von 20 Jahren zu haben, aber viel jünger aussieht. Und so gibt es zwar einige hübsche Pointen (daß an der Schule etwa von einem alleinerziehenden Mann als „DILF“ die Rede ist), aber die Figurenzeichnung ist doch eher schwach. Und das, obwohl Autorinnen wie Produzentinnen (ja, eine rein weibliche Serie) es von „Smack The Pony“ und „Green Wing“ her noch besser wissen und können müßten.

Besser wissen und können müßte es auch Ricky Gervais: dessen Zwergen-Sitcom „Life’s Too Short“ (BBC2) mit Warwick Davis bemüht nicht nur abermals den mittlerweile wirklich antiquierten Mockumentary-Stil, sondern auch all die alten Peinlichkeits-Witze, die zwar hin und wieder noch funktionieren, meistens aber genauso flach fallen wie der kleinwüchsige Davis, wenn er aus seinem SUV steigt.

Wenn schon vorlaute Zwerge, dann doch bitte wie in „Spy“ (abermals Sky1), einer eher schnellen und schön bunten Agenten-Sitcom, in der Tim (Darren Boyd) wie die Jungfrau zum Kind plötzlich zu einem Job als Spion kommt, was er seinem äußerst dominanten zehnjährigen Sohn aber genausowenig anvertrauen kann wie seiner Ex. In der Folge darf Boyd seine bewährte John-Cleese-Komik mit viel unterdrückter Wut und Verblüffung spielen, die schon „Whites“ und „Green Wing“ sehr unterhaltsam gemacht hat, wenn er sich, seinem schwachen Charakter folgend, immer wieder der Autorität seines Bankerts unterwerfen muß. Darren Boyd ist es auch, der zusammen mit Stephen Mangan „Dirk Gently“ (BBC4) vor dem Totalreinfall bewahrt hat, obwohl aus der Douglas-Adams-Adaption von Howard Overman („Misfits“) doch etwas mehr zu machen gewesen wäre. Genau wie aus „A Touch of Cloth“ (ja doch, schon wieder Sky1), dem Versuch von Charlie Brooker, eine Art „Nackte Kanone“ auf britisch zu machen: diese zweiteilige Parodie auf praktisch alle englischen Krimiserien darf als zwar ambitioniert und streckenweise sogar recht lustig gelten, hat aber keinen so bleibenden Eindruck auf mich hinterlassen, daß ich sie zur Einkaufspriorität erklären würde. Ebensowenig wie Brookers zweite Serie des Jahres, „Black Mirror“ (Channel 4), die in drei Folgen (von je anderen Autoren) mediale Dystopien entwirft, finstere Science-Fiction-Medienkritik, die für Fans von Brookers bösem Humor womöglich taugen, aber eher nicht mehrheitsfähig sind.

Da würde ich doch all die Serien vorziehen, die in diesem Jahr eine schöne zweite, dritte oder vierte Staffel auf den Schirm gebracht haben: die zweite Season der Olympia-Sitcom „Twenty Twelve“ (BBC2/BBC4), der Puppen-Comedy „Mongrels“ (BBC3), der Sitcomautorensitcom „Episodes“ (BBC2/Showtime) oder die Specials des Uralt-Klassikers „Absolutely Fabulous“ (BBC1), „Ab Fab At 20“, die dieses Jahr gezeigt haben, dass das Comedykonzept von Jennifer Saunders auch zwanzig Jahre nach der ersten Folge noch tadellos funktioniert. Fast so alt ist die Figur des Alan Partridge (Steve Coogan), und auch seine neue Miniserie „Alan Partridge: Midmorning Matters“ (Sky Atlantic) macht Spaß und läßt darauf hoffen, daß der lange angekündigte Partridge-Kinofilm im nächsten Jahr endlich Formen annimmt. In diesem Sinne: Happy New Year!

Bergauf zu den Sternen

23. Juli 2012 5 Kommentare

Wenn man vom Rücken des Berghanges über das kleine (fiktionale) Städtchen Pontyberry sieht, in dem „Stella“ (Sky 1, 2012) angesiedelt ist, bemerkt man zwei Dinge: Wie einfach bis arm das Leben im walisischen Hinterland schom immer gewesen sein muss. Das erkennt man unschwer an den schmucklosen granitgrauen Häuschen, die sich in langen Reihen hügelauf und hügelab in die Landschaft schmiegen, als ob jemand sie zu Ketten aufgefädelt hätte. Und man sieht, wie idyllisch schön es doch in Wales ist: Wie grün das Gras leuchtet, wie anmutig Berg und Tal ineinander fließen, wie absent Glas und Stahl und Werbetafeln sind. Alle sind arm hier, aber alle sind gleich arm, und deshalb spielt die Armut schon gar keine so entscheidende Rolle mehr.

https://www.youtube.com/watch?v=0KiN2OAkWNU?version=3&hl=de_DE

Doch die Armut spielt auch deshalb keine so entscheidende Rolle, weil nicht nur sie die Idylle bedroht. Zwar hat Hauptfigur Stella (Ruth Jones) nur einen prekären Job; sie bügelt für kleines Geld die Wäsche ihrer Nachbarn. Doch das ist keineswegs ihr einziges Problem: Ihr ältester Sohn Luke (Craig Gallivan) sitzt (zumindest zu Beginn der Serie) wegen joyriding im Gefängnis. Ihre beste Freundin und Schwägerin Paula (Elizabeth Berrington) ist Pegeltrinkerin und muss als Inhaberin und Chefin eines Beerdigungsinstituts stets ihren Blutalkoholwert kontrollieren, bevor sie sich hinters Steuer des Leichewagens setzen kann. Stellas Ex Karl (Julian Lewis Jones), ein eher schlicht gestricktes Landei, hat eine superprollige neue Freundin (Karen Paullada), die sich bereits für die Stiefmutter von Stellas Kindern hält. Und Stellas Tochter, die hübsche Emma (Catrin Stewart), ist noch keine 18 und schon schwanger, während sie noch mitten in ihren finalen Schulprüfungen steckt. Was bedeutet, dass Stella demnächst Großmutter wird — mit 42.

„Stella“ wäre jedoch kein britisches Comedydrama, gliche die Show nicht ihr ernstes (und realistisch dargestelltes) Set up durch enorme Wärme, Herzlichkeit und durch und durch sympathische Charaktere aus. So durchschaubar dieses Prinzip englischer Comedy ist, den Grausamkeiten des Lebens mit Humor (und einer stiff upper lip) zu begegnen, und so inflationär es gerade im Moment eingesetzt wird, so gut funktioniert es auch. Ich selbst hatte „Stella“ nach den ersten zwei Folgen für zu süß befunden, aber ich muss mich korrigieren: die Serie ist gewiss harmlos, aber nach ein paar Folgen wächst sie einem enorm ans Herz. Einerseits, weil man die Figuren dann kennt, andererseits, weil auch die Drehbücher besser und besser werden und neben den Gags, die aus den Charakteren entstehen, immer mehr Oneliner und visuelle Scherze dazukommen: Per aspera ad astra, bzw. eben ad stella.

Wie man solche Serien schreibt, weiß Ruth Jones seit dem sehr erfolgreichen „Gavin & Stacey“ (Baby Cow für BBC3 und 1, 2007 – 10), für das sie zusammen mit James Corden verantwortlich war — und wo sie ebenfalls zu sehen war, in der Nebenrolle der stark übergewichtigen und stets mürrischen Nessa. Nicht wiederzuerkennen ist sie allerdings in „Stella“, was nicht nur an den geschätzten 25 Kilo liegt, die sie seitdem abgenommen hat, sondern auch an der Rolle als grundoptimistische, immer gut geerdete alleinerziehende Mutter. Mittlerweile produziert Jones sogar selbst: „Stella“ entstammt ihrer eigenen Firma Tidy Productions. Ein Verlust für Baby Cow, die mit dem ähnlich situierten, aber weniger überzeugenden „Starlings“ (ebenfalls Sky1) deutlich den Kürzeren gezogen haben.

Eine zweite Staffel „Stella“ ist schon unterwegs, die erste auf DVD erhältlich, und diese macht den walisischen Zungenschlag dank Untertiteln auch für durchschnittlich sprachbegabte Menschen verständlich. Wer sich die verregneten und zu kühlen Abende dieses sogenannten Sommers also etwas aufhellen möchte, der lege sich diese kaminfeuerwarme Serie zu: insbesondere weibliche Mitgucker werden es danken.

Flügellahme Stare

10. Juni 2012 5 Kommentare

Vor mittlerweile über zehn Jahren begann in England die Phase der dunkelsten Comedyshows aller Zeiten. „The Office“ (BBC2, 2001 – 03) war so eine Serie, und womöglich die prominenteste, aber sicher nicht die böseste, die damals entstand. Allen gemein war, dass sie ihre Zuschauer zwangen, halbstundenweise in menschliche Abgründe zu schauen und in die Abgründe zwischen Menschen, sei es zwischen dem Boss und seinen Angestellten, zwischen einem Moderator und seinen Gästen („I’m  Alan Partridge“, BBC2, 1997 – 2002) oder zwischen Ehepaaren („Human Remains“, BBC, 2000). Das war ungemütlich und trostlos, und wenn man als Zuschauer berührt war, dann allenfalls von einer eiskalten Hand.

Cringe Comedy war der heiße Scheiß der Stunde, je böser, desto besser. Selbst eine narzisstische Soziopathin wie Jill Tyrell (Julia Davis in „Nighty Night“, BBC3, 2004 – 05) konnte als Sitcomheldin taugen; eine „Heldin“, die den langsamen Krebstod ihres Ehemannes ausnutzt, um der Nachbarin, die selbst unter Multipler Sklerose leidet, den Mann auszuspannen.

In nicht wenigen dieser Shows spielte Steve Coogan mit, und wo er nicht mitspielte, produzierte er. Schon 1999 gründete er zusammen mit Henry Normal seine eigene Firma Baby Cow, die fortan vorwiegend eben diese düstere Comedy hervorbrachte: Neben „Human Remains“ und „Nighty Night“ waren das etwa „Ideal“ (BBC3, 2005 – 11), die Kiffersitcom mit Johnny Vegas, die allerdings nicht nur düster war, sondern auch eine heiter-surreale Note hatte, das psychedelisch-dämmrige „The Mighty Boosh“ (BBC3, 2004 – 07) sowie nicht zuletzt „Sensitive Skin“ (BBC2, 2005 – 07), ein schwarzes Comedydrama mit Joanna Lumley („Absolutely Fabulous“), in dem sie sich als arbeitende, älter werdende Frau ihren Zukunftsängsten stellen musste. Harter Tobak; geistreiches, aber sehr unterkühltes Fernsehen.

Heute aber ist alles anders. Die Zeiten, nicht nur in Großbritannien, sind selbst kühl geworden. Nichts mehr ist zu spüren von damaligen politischen Aufbruchsstimmung und der darauf folgenden Enttäuschung von New Labour. Und niemand will auch noch über so explizites menschliches Leid in Comedyshows lachen, wenn er es schon täglich in den Nachrichten sehen muss.

Darum schwingt seit einigen Jahren das Pendel in die andere Richtung. Nun sind es die heiteren Familienshows, in denen fiktionale Nestwärme und Zuversicht Zuflucht bieten angesichts realer Rezession, Arbeitslosigkeit und Randale auf der Straße. „Gavin & Stacey“ (BBC, 2007 – 10) war die Antwort von Baby Cow; eine Serie, in der sich Boy und Girl (Mathew Horne und Joanna Page) finden, trotz großer räumlicher wie gesellschaftlicher Distanz.

Doch seit diesem Riesenerfolg schwächelt die einstige Vorzeigeschmiede für junges Talent. Vor allem „Starlings“ (seit Mai auf Sky1), der neueste Versuch von Baby Cow, auf den Paradigmenwechsel zu reagieren, wirkt wie eine Auftragsarbeit.

https://www.youtube.com/watch?v=D4OUgZaIYTQ?version=3&hl=de_DE

Dabei hätte dieses Familien-Comedydrama in den englischen Midlands theoretisch das Zeug zum Erfolg: zwei gute und erfolgreiche Autoren/Darsteller, nämlich Matt King und Steve Edge, einen veritablen Star als Hauptfigur: Brendan Coyle, den Bates aus „Downton Abbey“ (ITV, seit 2010), sowie die übliche dysfunktionale Familie im Mittelpunkt, inklusive schwächelndem Familienbetrieb, exzentrischen Verwandten und einem Neugeborenen.

Warum geht das Rezept nicht auf? Vielleicht, weil man es allzu leicht durchschaut: Matt King (der auch die sehenswerte Koch-Sitcom „Whites“, BBC2, 2010, mitgeschrieben hat) spielt nach Super Hans in „Peep Show“ (Channel 4, seit 2003) einen weiteren von sich selbst eingenommenen Künstler, unter den gar nicht so dräuenden Familienproblemen liegt stets ein etwas zu geschmackvoller Folk-Soundtrack, oft sitzen die Familienmitglieder einfach beisammen und sind nett zueinander. Das ist, nun ja, nett — aber sehr komisch ist es leider nicht. Fernsehen als Lagerfeuerersatz.

Vor allem Brendan Coyle hat mich enttäuscht in seiner seifenoperflachen Rolle als stets supernetter Familienvater, der seine Herz- und Geldprobleme immer schön für sich behält, um seine Familie nicht zu belasten. Coyle hat leider nicht den kleinsten funny bone, und die Autoren scheinen ihm auch keinen zuzutrauen. Pointen haben sie ihm jedenfalls vorsorglich erst gar nicht ins Buch geschrieben.

„Starlings“ ist eine einzige Versicherung für den Zuschauer, dass das Happy End nur wenige Meter bzw. Minuten entfernt ist: der spinnerte Onkel darf auch noch bei uns wohnen, soll er halt in den Wohnwagen im Hof einziehen! Die kleinwüchsige Tochter darf davon träumen, Fußballtorwart zu werden — Träume sind ja nicht verboten! Sogar der quasi autistische Sohn, der sich nur für die Spinnen und Reptilien in seinem Nerd-Zimmer interessiert, kriegt eine Freundin ab: Alles wird gut. Ach wo, wird: alles ist gut.

Für Baby Cow aber ist nicht alles gut. Fragt sich, ob eine Produktionsfirma breiter aufgestellt und folglich in der Lage sein müsste, auch den Mainstream zu bedienen. Das hat mit „Gavin & Stacey“ ja schon einmal geklappt — allerdings womöglich nur, weil James Corden und Ruth Jones (die mit „Stella“ selbst gerade auf dem Gebiet der nordenglischen Wohlfühlfamiliencomedy unterwegs ist, und zwar gleichfalls auf Sky1), weil Corden und Jones also damals noch ihrer Zeit in puncto Comedygeschmack voraus waren und schon den Trend zum kleinen Glück vorwegnahmen, als noch das große Unglück en vogue war.

Oder täte Baby Cow besser daran, sich weiterhin zu spezialisieren und auch gegen den Zeitgeist das zu machen und zu fördern, womit sie groß geworden ist: düstere, eher avantgardistische Comedy. Womöglich sind die Nischen dafür nicht mehr groß genug, weil die englischen TV-Budgets schon immer legendär niedrig waren und immer weiter abnehmen. Vielleicht liegen die besten Zeiten für Baby Cow also schon hinter uns. Das wäre äußerst schade.

Bafta 2012: Die Gewinner

29. Mai 2012 3 Kommentare

Am Sonntag wurden die Television Award Winners 2012 der British Academy of Film and Television Arts bekanntgegeben; und im Zusammenhang mit Comedy wurden ausgezeichnet:

  • Jennifer Saunders in der Sparte Female Performance in a Comedy Programme für ihren Auftritt in den neuen Specials des ewigen Superknallers „Absolutely Fabulous“ (BBC1): geht klar; aber auch gegen die Mitbewerberinnen Olivia Colman („Twenty Twelve“, BBC4) und Tamsin Greig („Friday Night Dinner“, Channel 4) hätte ich wenig einzuwenden gehabt. Einzig Ruth Jones, Mit-Erfinderin und Darstellerin von „Gavin & Stacey“ (BBC3, 2 und 1) scheint mir nach dem arg süßlichen „Stella“ (Sky1) ein wenig überschätzt zu sein.
  • Darren Boyd in der Sparte Male Performance in a Comedy Programme für seinen Auftritt in „Spy“ (Sky1) — habe ich leider noch immer nicht gesehen. Nach allem, was man so hört, war diese Auszeichnung für Boyd aber verdient, und ich gönne sie ihm jedenfalls mehr als ich sie Brendan O’Carroll für seine Mrs Brown in der Männer-in-Frauenklamotten-Burleske „Mrs Brown’s Boys“ (BBC1) gegönnt hätte.
  • Stewart Lee in der Sparte Comedy Programme für „Stewart Lee’s Comedy Vehicle“ (BBC2). Auch Charlie Brooker hätte ich den Bafta für „Charlie Brooker’s 2011 Wipe“ gegönnt, aber zum einen war das nur ein One-off, zum anderen ist dieses Blog ja irgendwie sowieso Stewart Lee und seinem Werk gewidmet, also geht auch das in Ordnung. Weiter abgeschlagen in meinem persönlichen Ranking: der Mitbewerber „Comic Strip: The Hunt for Tony Blair“ (Channel 4) mit Stephen Mangan. Das war denn doch einen Ticken zu krude und unlustig; das mag ja im Sinne der Original-„Comic Strip“-Serie sein, aber nicht in meinem.
  • „Mrs Brown’s Boys“ in der Kategorie Situation Comedy. Ja. Hm. Gut. Nicht ganz klar, warum so eine rückwärtsgewendete Klamotte gegen „Friday Night Dinner“ und „Fresh Meat“ gewonnen hat (gut, letzteres war vielleicht näher am ComedyDrama als an der Sitcom), und sogar das sehr stille „Rev.“ hätte ich den Mrs Brownschen Jungs vorgezogen. Meh.

Außerdem: der Special Award für Steven Moffat („Dr. Who“, „Sherlock“) geht in Ordnung (ich behalte jetzt mal diesen gönnerhaften Tonfall), und auch Andrew Scott als James Moriarty (Supporting Actor) fand ich erst gestern wieder sehr gut in der ARD-Ausstrahlung von „The Reichenbach Falls“ (auch wenn ich dann am Schluss doch wieder den Faden verloren habe. Was soll’s, tolle Bilder immerhin).

Dass „Holy Flying Circus“ (BBC4) nicht in der Kategorie Single Drama gewonnen hat, ist absolut verständlich, und dass „Shameless“ (Channel 4) jetzt in einer Liga mit „Holby City“, „EastEnders“ und „Coronation Street“ spielt (gegen die es in der Kategorie Soap & Continuing Drama“ verloren hat, leuchtet mir auch ein. Schade um ein ehemals schönes ComedyDrama. Guckt eigentlich noch jemand die US-Version davon?

Ebenso nicht gewonnen hat Gervais’/Merchants/Pilkingtons „An Idiot Abroad“ (Sky1, nominiert in der Sparte Reality & Constructed Factual, was ich einen sehr guten Begriff finde, Constructed Factual).

Das „Saxondale“-Rätsel

30. Oktober 2010 Keine Kommentare

Was macht eine schlechte Sitcom schlecht?

Erkennen kann man eine schlechte Sitcom ganz einfach: Man hält einen kleinen Handspiegel bereit und sieht, während eine Folge läuft, mehrmals hinein. Sieht man statt eines lachenden ein ernstes (trauriges/wütendes/verzweifeltes) Gesicht, ist die Sitcom schlecht (oder man hat versehentlich die ARD-Themenwoche „Essen ist Leben“ eingeschaltet).

Sehr viel schwieriger wird es, wenn man zu fragen beginnt: Warum ist diese Sitcom eigentlich schlecht?

Gestern habe ich in der Hoffnung, sie könnte ein bißchen besser sein als die erste, die zweite Staffel „Saxondale“ (BBC2, 2007) in einer Sitzung durchgehockt — und mußte zunächst feststellen: zumindest die erste Folge hatte ich schon irgendwann gesehen (und auch an die zweite konnte ich mich in Bruchstücken erinnern). Schon mal schlecht, denn das hieß, sie hatte mich nicht sehr beeindruckt. Und so war es dann auch nach dem zweiten Versuch: Schon heute kann ich mich kaum noch an etwas erinnern.

Aber warum eigentlich nicht? Saxondale ist wie Alan Partridge eine Comedy-Persona Steve Coogans. Wie Partridge ist er ein Verlierer:  früher Roadie für große britische Rockbands, heute Kammerjäger. Immer noch gegen das System, immer noch mit Zauselfrisur und Vollbart, während alle um ihn herum längst erfolgreich Irgendwasmitmedien machen. Er läßt alle an seinem reichen Wissensschatz teilhaben, auch wenn sich darin so manche Unze Falschgold findet. Er belegt einen Kurs in Anger Management, fährt privat einen Ford Mustang, auf den er sehr stolz ist, beruflich aber einen Renault Kangoo, und hat es sich mit seiner moppeligen Freundin (Ruth Jones, „Gavin & Stacey“), die systemkritische T-Shirts designt/historisch-pornographische Bilder malt, ganz bequem eingerichtet.

Da liegt womöglich schon die erste Schwachstelle: Saxondales zwei Welten sind für mich gleichermaßen uninteressant. Ich kann weder an das Klischee vom Roadie anschließen, der in den Siebzigern mit Jimmy Page und Brian May gesoffen hat, noch könnte ich behaupten, daß mich die Profession des Kammerjägers elektrisierte. Alan Partridge war in dieser Hinsicht viel universaler: ein unsympathischer TV-Moderator, der seine Show verliert und Radio-DJ in der Provinz wird.

Nun muß eine Sitcom, deren Setting auf eine bestimmte Zielgruppe ausgerichtet ist, nicht automatisch für alle anderen Zielgruppen uninteressant sein. Wer aber einen so großen Teil der Komik aus einem einzigen Umstand zieht wie „Saxondale“ aus dem „früherer Roadie“-Ding, könnte alle, die das nicht direkt anspricht, zum Beispiel durch einen weiteren Charakter gewinnen, der sich ebenfalls nicht für olle Rock’n’Roll-Kamellen interessiert. Hier etwa durch den Azubi Raymond (Rasmus Hardiker), der Saxondale überall hinbegleitet. Doch Raymond bleibt farblos, gelangweilt, indifferent (eine Paraphrase seiner Rolle in „Lead Balloon“). Reibungsfläche für Saxondale? Raymond ist das genaue Gegenteil.

Und er kriegt, wie auch sonst niemand, keine einzige Szene ohne Coogan. Das könnte der zweite Schwachpunkt sein: Die Serie konzentriert sich ausschließlich auf Saxondale. Selbst wenn ich kein Fan von Ruth Jones bin: ein bißchen mehr Tiefe hätte ihrer Figur hier nicht geschadet. Sie bleibt aber, weil auch sie keinen Moment alleine auf dem Bildschirm hat, immer Saxondales Anhängsel. Morwenna Banks als Rezeptionistin der Agentur, in der sich Saxondale seine Aufträge abholt, ist zwar sehr gut darin, Saxondale durch ihre passiv-aggressive Art, der er nicht gewachsen ist, auf die Palme zu bringen. Doch auch ihre Figur ist nur in der Serie, weil sie genau diese Funktion erfüllen soll — eigenes Leben wird ihr nicht zugestanden.

Die dritte Schwachstelle ist evtl., daß es eine solche Figur überhaupt braucht, die Saxondales Aggressionen befeuert. Aber während Alan Partridge verzweifelt (und immer kontraproduktiv) gegen seinen Abstieg kämpfte, während er sich also an immer dünnere Strohhalme klammerte, um nicht in ein tiefes Loch zu stürzen, ist Saxondale längst am Boden angekommen und hat im Grunde resigniert. Er hat keine Aussichten darauf, je wieder erfolgreich zu sein, es in irgendeiner Form wieder „zu schaffen“, also entfällt auch der Kampf darum. Genau der Kampf aber wäre es, der komisch sein könnte und der Menschen mit der Figur mitfühlen ließe. Nur dieser Kampf, oberflächlich der Kampf gegen praktisch alle, de facto aber der Kampf gegen sich selbst, war es, der Alan Partridge erträglich machte — ohne ihn wäre er tatsächlich nur der unsympathische Vollidiot gewesen, als der er häufig beschrieben wird. Saxondale ist viel sympathischer. Aber er kriegt nicht mein Mitgefühl.

Zuschlechterletzt erschien zumindest mir die zweite Staffel „Saxondale“ (die erste habe ich wirklich kaum noch im Kopf) zu formelhaft. Jede Folge beginnt mit einer Szene im Anger Management-Kurs (in dem jedesmal Matt Berry wieder unlustig sein darf — ich verstehe offenbar seinen Humor absolut nicht), in jeder Folge taucht der nervige Nachbar (Darren Boyd) auf (ich könnte mal eine Top-10 der nervigsten Sitcom-Nachbarn erstellen, beginnend natürlich mit Kramer), in jeder Folge der Disput mit Morwenna Banks als Rezeptionistin… Nichts gegen Running Gags und eine wiedererkennbare Struktur: Sie sind meistens sinnvoll, schließlich ist Wiedererkennbarkeit eines der wichtigsten Momente bei Comedy. Aber hier wirkt sie allzu korsetthaft: sie beengt eher, als daß sie zusammenhält.

Zuguterletzt: Ich bin mir absolut nicht sicher, ob es an all diesen Punkten liegt, einzeln oder in Kombination, daß ich „Saxondale“ nichts abgewinnen konnte. Möglicherweise liegt es auch an etwas anderem: zu hoher Erwartung zum Beispiel. Ich finde es immer schwierig, genau den Finger darauf zu legen, warum etwas nicht funktioniert. Nur DASS es nicht funktioniert, da bin ich mir ziemlich sicher.

Hier noch ein Trailer mit Ausschnitten aus den bald kommenden neuen Alan-Partridge-Online-Filmchen — allerdings ein etwas enttäuschender, weil statt der Dialoge nur Musik zu hören ist. Nicht so sehr vielversprechend, wie ich finde.

Bewanderte Sitcom

31. Juli 2010 7 Kommentare

Natürlich ist „The Great Outdoors“ (BBC4) jedem wirklichen Englandkenner von vorneherein verdorben, ja: auf das Fundament einer faustdicken Lüge gebaut. Denn in einer (der ersten, am Mittwoch ausgestrahlten) Folge dieser Sitcom um einen Wander-Club, dessen Leiter mit einem gewaltigen Lattenschuß allen Mitwanderern auf die Nerven geht, fällt einen ganzen Tag lang erkennbar kein einziger Regentropfen! Ja, die Wanderer kommen nach einer langen Wanderung trockenen Fußes nach Hause! Vollkommen ausgeschlossen, denn in England regnet es jeden Tag, und ganz besonders, wenn jemand wandern gehen möchte. Ich weiß, wovon ich rede! Sieht man über diese unwahrscheinliche Prämisse allerdings großzügig hinweg, ist „The Great Outdoors“ gut — und hat das Zeug dazu, noch besser zu werden.

Die Miniserie (leider auf nur drei Folgen angelegt) folgt dem Wanderleiter Bob (Mark Heap), dessen aufgeblasene, eitle und anmaßende Art schwer erträglich ist. Sein bester Freund Tom (Steve Edge) ist ein ausgemachter Simpleton, dem Bobs neurotische Anfälle daher auch nichts ausmachen; Bobs achtzehnjährige Tochter Hazel leidet da schon mehr unter ihrem Vater. Neue Mitglieder, die mal einen Tag lang mitwandern wollen, werfen schnell das Handtuch und setzen sich ab — bis auf Christine (Ruth Jones), die nicht nur eine Regenjacke (ha!) dabei hat, einen riesigen Rucksack, GPS und eine Leuchtpistole, sondern sogar Verpflegung. Um die gibt es prompt Verteilungskämpfe, als sich herausstellt, daß der von Bob angesteuerte Pub auf sündteure Gastronomie umgestellt hat. Logisch, daß Christine schnell und sehr zum Mißfallen Bobs zu einer ernsthaften Konkurrenz in der Club-Führung wird…

Prima, daß Mark Heap sich nie zu schade wird, seine Paraderolle zu spielen: die des tragikkomischen, von Obsessionen geplagten Soziopathen. Damit hatte er seinen Durchbruch in „Spaced“ als der krisengeschüttelte Künstler Brian, damit brillierte er als der Hochgeschwindigkeitsneurotiker Alan Statham in „Green Wing“, und gerade sehe ich ihn in „Happiness“, wo er eine ein wenig gedimmte Version dieses Charakters gibt, in der er ebenfalls glänzt. Prima aber auch, daß um Heap etliche weitere hervorragende Comedians aufgestellt sind: Ruth Jones darf mal eine andere Rolle spielen als Staceys dicke Freundin Nessa in „Gavin & Stacey“, Steve Edge („Star Stories“, „Phoenix Nights“) ist sowieso hervorragend, und Katherine Parkinson („The IT Crowd“, „Doc Martin“, „The Old Guys“, deren zweite Staffel gerade läuft) ist sich für eine kleinere Rolle in der zweiten Reihe ebenfalls nicht zu schade.

Das liegt vielleicht daran, daß die Autoren der Show, Kevin Cecil und Andy Riley, zwar noch keine Namen haben, bei denen es jedem Comedyfan in den Ohren klingelt, das das aber nur noch eine Frage der Zeit sein dürfte: die beiden haben schon nach Graham Linehans Abschied von „Black Books“ seinen Platz als Autoren eingenommen, für die „Armando Iannucci Show“ geschrieben, für „Little Britain“, „Armstrong & Miller“, „Smack the Pony“ und „Trigger Happy TV“. Ihre erste eigene Serie „Hyperdrive“ sei ihnen verziehen — zum Ausgleich für diese eher mittelgute Moppel-im-Weltall-Comedy (mit Miranda Hart und Nick Frost) hat ja Andy Riley etliche Comicbücher gezeichnet, die ich auf diesem Weg auch jedem ans Herz legen kann: „Bunny Suicides“ und „Great Lies to Tell Small Kids“. Kaufen! Jetzt sofort!