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Artikel Tagged ‘Sarah Lancashire’

Guter böser Laurie

29. März 2016 3 Kommentare

Abermals hat das britische Fernsehen (diesmal in Zusammenarbeit mit dem us-amerikanischen) eine Serie hervorgebracht, die so gut ist, dass man ihr keine zweite Staffel wünscht: „The Night Manager“ (BBC1/AMC; seit gestern in Deutschland via Amazon Prime zu sehen), die aktualisierte Verfilmung eines John-le-Carré-Thrillers um den erfolgreichen, charismatischen und höchst kriminellen Waffenhändler Richard Roper (Hugh Laurie) und den Nachtportier eines Kairoer Hotels und ehemaligen britischen Soldaten Jonathan Pine (Tom Hiddleston), der in den Wirrungen des arabischen Frühlings zufällig an ein Dokument gerät, das die Machenschaften Ropers aufdeckt. Woraufhin Pine in Zusammenarbeit mit Angela Burr (Olivia Colman), der Leiterin einer MI6-Unterabteilung, sich in die Kreise Ropers einschleicht — gefährlich, weil weite Teile des MI6 selbst in die Waffenschiebereien verwickelt sind, und verführerisch, weil nicht nur der Charme Ropers, sondern auch dessen Luxusleben ihre Wirkung auf Pine nicht verfehlen. Wird also Pine, von Roper zu seinem persönlichen Assistenten gemacht, die Seiten wechseln? Oder einen dummen Fehler begehen und sich in die Geliebte seines Chefs, Jed (Elizabeth Debicki), verlieben?

„The Night Manager“, eine sechsteilige Miniserie, sieht gut aus, denn offenbar ist viel Geld schon allein in die Drehs in aller Welt geflossen, und es macht Spaß, denn von Regie (die die Dänin Susanne Bier übernommen hat, die bislang vorwiegend für’s Kino gedreht hat) und Buch bis hin zu dem exzellenten Cast stimmt hier alles: Laurie genießt es sichtbar, einen Bösewicht zu spielen, der geistreich, jugendlich, sympathisch und attraktiv sein kann, Colman darf einmal mehr die (hier auch noch schwangere) Frau spielen, die als Polizistin/Agentin von allen unterschätzt wird wie schon in „Broadchurch“, und nicht zuletzt Tom Hollander als Ropers rechte Hand Lance Corkoran ist es gestattet, funkelnd bösartige Facetten zu zeigen, die man nach „Rev.“ (BBC2, 2010 – 14) nie an ihm vermutet hätte.

Einziger Wermutstropfen: „The Night Manager“ war so erfolgreich, dass eine zweite Staffel schon ausgemacht ist — und erzählt doch eine so abgeschlossene Geschichte, dass es schwer fällt sich vorzustellen, wie eine zweite Staffel da noch mithalten soll. Ein Problem, das immer mehr gute Fernsehserien haben: das oben schon erwähnte „Broadchurch“ etwa, das einen (sehr) abgeschlossenen Kriminalfall erzählte — und sich in der zweiten Staffel darauf verlegte, chronologisch weiter zu erzählen, nämlich die Gerichtsverhandlung des überführten Mörders und alles, was sich aus ihr für die kleine namensgebende Gemeinde ergibt, in der er stattfindet.

Das fand ich damals recht brilliant; im Nachhinein muss man aber einräumen, dass die Serie an die Qualität der ersten Staffel damit nicht mehr anschließen konnte, die tatsächlich enorm spannend war — ein dramaturgisches Element, das in der zweiten Staffel zwangsläufig (oder jedenfalls in der Dosierung der ersten) fehlte.

„Happy Valley“ (BBC1 seit 2014) hingegen, von dem ebenfalls kürzlich die zweite Staffel lief, obwohl ich es nach der sensationellen ersten hätte gut sein lassen, hat den Spagat geschafft und abermals einen Kriminalfall geschildert, ebenfalls in einer eher überschaubaren Stadt, der für die alternde Polizistin Catherine Cawood (Sarah Lancashire) wiederum mit höchst persönlichen Elementen verkompliziert wird, ohne dass das in der Wiederholung dieser sehr speziellen Umstände unangenehm aufgefallen wäre. Autorin Sally Wainwright, die ich schon nach der ersten Folge der ersten Staffel „Happy Valley“ für ihr Können bewundern musste, ist es gelungen, dieses Rezept zu variieren, so dass es sowohl der ersten Staffel treu bleiben als auch genügend Neues bieten konnte, ohne als Selbstplagiat oder zu weit vom Original entfernt empfunden zu werden.

Und, gna gna, natürlich hängt auch hier das Damoklesschwert einer weiteren Staffel abermals über der Serie — kann man diesen Zaubertrick denn nun ein drittes Mal …?

Für „The Night Manager“ könnte dieser Trick besonders tricky werden, denn wenn ich das richtig sehe hat le Carré keinen weiteren Jonathan-Pine-Roman geschrieben, so dass es hier nicht nur den Grundgedanken der ersten Staffel, sondern auch noch den Geist des Originalautors zu bewahren gilt. Das hat, trotz einiger mittelgroßen Eingriffe in das Buch, in der ersten Staffel gut funktioniert, weil le Carré selbst als kreativer Berater der Produktion zur Seite stand.

Vielleicht fühlt sich le Carré ja so geschmeichelt, dass er auch bei der zweiten Staffel „The Night Manager“ selbst mit Hand anlegt. Und wenn sie es dann noch schaffen, auch den fabelhaften Hugh Laurie wieder mitspielen zu lassen … toi, toi, toi.

Das glückliche Tal der schwachen Männer

Habe ich gestern geschrieben, dass „Happy Valley“ (BBC1, 2014) mich schon nach der ersten Folge überzeugt hatte, weil die sehr gut erzählt war, so ist mir im Laufe der weiteren fünf Folgen aufgefallen, was konkret mir an der (auch im Weiteren exzellent geschriebenen) Serie gefällt: nämlich ihre weibliche Perspektive und wie sie von schwachen Männern erzählt und davon, dass es vorrangig Frauen sind, die diese Schwächen ertragen müssen. Weil es vorrangig Männer sind, die kriminell werden, und weil ihre Taten Auswirkungen auf Familien haben, ob sie das wollen oder nicht — auf fremde Familien wie auf die eigene.

Dabei ist die größte Schuld der Männer (ich werde keine Inhalte erzählen, weil ich Spoiler vermeiden möchte) ihre Schwäche: Neid, Feigheit, Gier, Gewalttätigkeit — um nur mal vier zu nennen. Aus den Schwächen der Männer entsteht Verbrechen: Entführung, Vergewaltigung, Mord. Und die Verbrechen wirken sich auf Familien aus, auf Frauen, auf Kinder. „Happy Valley“ ist genauso sehr Drama- wie Krimiserie, und die Gewalttätigkeiten, die hier so explizit gezeigt werden, wie es derzeit eben erzählerischer Standard ist, in ein Familiendrama hineingetragen zu sehen, das macht „Happy Valley“ mitunter schwer erträglich. Und zu einer fantastischen Serie.

Starke Polizistinnen haben derzeit offenbar Konjunktur. Nicht nur in den USA („Fargo“), auch in Großbritannien gibt es mittlerweile einige: In „The Fall“ (RTÉ1/BBC2, 2013) ermittelte Gillian Anderson in Belfast in einer äußerst düsteren Atmosphäre einem Serienmörder hinterher, in „Broadchurch“ (ITV, 2013) war es Olivia Colman, die neben David Tennant in ihrem eigenen kleinstädtischen Umfeld den Mord an einem Kind aufklären musste. Mit erschütterndem Ergebnis.

Aber Sarah Lancashires Catherine Cawood in „Happy Valley“ ist weder die toughe, selbstbestimmte Ermittlerin, wie Anderson sie spielt, noch die schwache Ellie Miller aus „Broadchurch“. Sie ist beides: eine selbstbewusste, sehr professionelle Kriminalerin (die sich öfter gegen ihre tendenziell korrupten und faulen Kollegen durchsetzen muss), und alleinerziehende Oma, die unter dem Selbstmord ihrer Tochter beinah zusammenbricht. Auch sie ist also schwach, und auch aus ihrer Schwäche erwächst Schuld, wenn sie etwa mit einer jungen Polizistin strenger umspringt, als es der Situation angemessen gewesen wäre. Oder mit ihrem Exmann eine Affäre beginnt, obwohl der wieder in festen Händen ist.

Sally Wainwright, die „Happy Valley“ geschrieben hat, schafft es durch die Bank, Figuren zu zeichnen, die ungeahnte Tiefen und Untiefen haben. Keiner ist ganz böse oder ganz dumm und schon gar nicht ganz unschuldig; sie kompromittiert nicht einmal die übelsten Burschen unter ihren Figuren durch platte, zweidimensionale Darstellung, sondern gibt auch ihnen Momente, in denen sie uns nahe kommen. Näher als uns lieb ist sogar. Selbst das erbärmlichste Wiesel, der wachsweiche Kevin Weatherill (der brillante Steve Pemberton), der zwischendurch zur Witzfigur mit comic relief-Momenten wird, kriegt eine Szene, in der er eine böse Wahrheit aussprechen darf und uns damit klar macht, wie sehr wir uns vor moralischer Überlegenheit hüten sollten. Weil es womöglich gerade die Selbstgerechtigkeit ist, die uns schuldig werden lässt. Böse Ironie also.

Diese böse Ironie ist bei „Happy Valley“ schon im Titel zu spüren: happy valley nennen die Cops die Gegend, in der die Serie spielt, wegen des massiven Drogenkonsums dort.

Wie man Backstory erzählt

28. Juni 2014 8 Kommentare

Gerade habe ich die erste Folge „Happy Valley“ (BBC1, 2014) gesehen und bin wieder einmal beeindruckt, wie viel höher die erzählerischen Standards des englischen Fernsehens im Vergleich zum deutschen sind. Da gibt es zum Beispiel die Ehefrau einer Hauptfigur, die im Rollstuhl sitzt, aber diese wichtige Information wird uns nicht aufs Brot geschmiert, sondern ganz beiläufig erzählt: nicht in der ersten Szene, in der die beiden beim Abendessen am Tisch sitzen und wir die Behinderung gar nicht sehen können, sondern in der zweiten, wo Kevin (Steve Pemberton) Jenny (Julia Ford) ins Bett hilft. Erwähnt wird die Behinderung der Frau mit keiner Silbe. Und prompt wissen wir: Kevin ist nicht mit einer Querschnittgelähmten verheiratet, sondern mit einer Frau, die querschnittsgelähmt ist*. Die Figur ist nicht durch ihre Behinderung definiert, ihre Behinderung ist einfach ein Aspekt dieser Figur, und vielleicht nicht einmal ihr wichtigster.

Aber viel entscheidender: Die andere Hauptfigur von „Happy Valley“ ist eine 47jährige Polizistin in Yorkshire. Sie ist geschieden, lebt mit ihrer Schwester zusammen, die ein cleaner Heroin-Junkie ist, sie hat zwei erwachsene Kinder, von denen eines tot ist und eines nicht mit ihr spricht, und einen Enkel. Es geht in dieser Serie von Anfang an um den seelischen Ballast, den Catherine (Sarah Lancashire) mit sich herumträgt, also die Backstory ihrer Figur, so dass das Drehbuch zumindest ein paar zentrale Informationen über diese Figur sehr schnell klar machen muss. Der Grundsatz „show, don’t tell“, der bei einer Körperbehinderung leicht umzusetzen ist, funktioniert hier nicht. Diese Informationen aber in Dialoge zu zwängen, die die Handlung nicht vorantreiben, verbietet sich andererseits auch – wie quälend schlecht solche Dialoge zwangsläufig sein müssen, sieht man bei mediokren deutschen Fernsehkomödien ja in schöner Regelmäßigkeit: „Übrigens erwarten wir heute Abend deine Tante zum Essen, du weißt schon, die bei unserer Hochzeit mit deinem Vater geschlafen hat!“ – „Wie, Tante Erna kommt den ganzen weiten Weg aus Buxtehude her zu uns nach Drömmelhausen?“ usw. usf.

Wie also löst Autorin Sally Wainwright („Bonkers“) dieses Dilemma? Sie lässt Catherine sagen: „Ich bin geschieden, lebe mit meiner Schwester zusammen, die ein cleaner Heroin-Junkie ist, habe zwei erwachsene Kinder, von denen eines tot ist und eines nicht mit mir spricht, und einen Enkel.“ Klingt nicht sehr clever? Ist es aber: denn sie sagt es einer Situation, in der sie in ihrer Eigenschaft als Polizistin mit einem zugedröhnten Twen spricht, der sich auf einem Spielplatz mit Benzin übergossen hat und sich anzuzünden droht. Sie sagt es, weil sie weiß, dass man in solchen Situationen am Besten viel persönliche Information von sich preisgibt, um zwischenmenschlichen Kontakt herzustellen. Was auch funktioniert. Und schwups ist das Problem gelöst: die Backstory im Dialog erzählt UND die Handlung vorangetrieben: wir wissen neben ihrer Geschichte nämlich auch, dass sie eine patente, erfahrene, umsichtige Polizistin ist, die sich einerseits einfühlsam zu verhalten, andererseits entschieden vorzugehen weiß — denn einen Feuerlöscher hat sie praktischerweise gleich mitgebracht.

Toll. Diese Lösung war so clever, dass ich den Trick überhaupt erst bemerkt habe, als in der zweiten Folge genau diese paar Sätze im „Was bisher geschah“-Vorsetzer auftauchten.

Dass die Serie offenbar gut bis sehr gut ist, ist übrigens im Verlauf der ersten Episode schnell deutlich geworden. Mehr vielleicht demnächst, wenn ich mehr gesehen habe.

* Sie ist nicht querschnittsgelähmt, sondern leidet an Multipler Sklerose, aber das macht hier ja keinen Unterschied.