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Beflügelte Krankenhaus-Sitcom

1. Juli 2006 3 Kommentare

Neue komische Formen zu finden ist schwierig. Der Vorrat an Formaten und Stilmitteln ist begrenzt, komisches Können beweist sich deshalb eher darin, altbekannte Formate geschickt zu bedienen, als neue Formate zu erfinden. Nichtsdestoweniger hat die britische Sitcom „Green Wing“ dieses Kunststück versucht, und siehe da: Die erste Comedy-Soap ist nicht nur gut, sondern ausgezeichnet, nämlich mit einem Bafta Award, also einem britischen TV-Oscar.

Völlig zu recht, denn das Prinzip der Seifenoper funktioniert auch als Comedy überraschend gut: Man nehme eine Handvoll Krankenhaus-Mitarbeiter mit kleineren und größeren unterhaltsamen Charakterstörungen, bringe sie in unterschiedlichen Konstellationen zusammen und warte darauf, daß sich komische Situationen ergeben. Das tun sie, wenn sich die junge Ärztin Caroline Todd (Tamsin Greig) zwischen dem großspurigen, aber im Grunde unsicheren Anästhesisten Guy Secretan (Stephen Mangan) und dem charmanten, aber distanzierten Chirurgen Macartney (Julian Rhind-Tutt) entscheiden muß, wenn der stets haspelnden und stotternden Hochgeschwindigkeitsneurotiker Dr. Statham als einziger im Krankenhaus glaubt, seine groteske sexuelle Beziehung zur Personalleiterin Joanna Clore sei unentdeckt, und wenn der mausgesichtige Arzt im Praktikum Martin Dear bei den ewigen Rivalitäten zwischen Macartney und Secretan jedes Mal den Kürzesten zieht.

Daß die Produzenten das Soap-Format genau kennen und damit spielen, fällt aber zunächst weniger auf als die ungewöhnliche Inszenierung: „Green Wing“ ist überwiegend mit einer Kamera und in extrem langen Einstellungen gedreht, zwischen den Dialogen werden Filmsequenzen beschleunigt oder verlangsamt, und das Ergebnis wird mit einem korrespondierenden Musik-Score zu etwas verdichtet, das an ein sehr eigenwilliges Ballett erinnert: ein Reigen von Gesten und Gebärden, eitel wehenden Kitteln, nervös fuchtelnden Zeigestäben, stolzierende Jungärzten und frustriert trottenden Verwaltungsangestellten. Diese unkonventionelle Bildsprache muß der Zuschauer sich erst aneignen. Doch das lohnt sich allemal, denn sie erlaubt eine ungemeine Bereicherung des Ausdrucks: Sie charakterisiert die Figuren und ihre Körpersprache sehr präzise und erlaubt es, komprimiert zu zeigen, was vor und nach einzelnen Situationen passiert. Und sie hilft, so Victoria Pile, die sich das alles ausgedacht hat, wenn mal ein Schauspieler seinen Text vergißt. Kaum zu glauben, daß das je passiert ist, denn das Ensemble (u.a. Tamsin Greig aus „Black Books“, Mark Heap aus „Spaced“ und Oliver Chris aus „The Office“) geht so in seinen Rollen auf, daß ein Gutteil der Show als Improvisationen gedreht wurde.

„Die innovativste Serie seit, nun ja: ‚The Office’“, schwärmte der Guardian, und in der Tat: Seit dem pseudodokumentarischen Ansatz zu einer Sitcom, wie ihn neben „The Office“ auch Larry David mit „Curb Your Enthusiasm“ pflegt, ist nichts ähnlich Maßstabsprengendes unternommen worden. Die zweite und vermutlich letzte Staffel „Green Wing“ ist in England vor Monatsfrist ausgelaufen, ein schön gestaltetes DVD-Set der ersten ist parallel dazu erschienen und kann und sollte auch von Ihnen umgehend geordert werden.

(zuerst erschienen in der Humorkritik in TITANIC 7/2006)