Dass leicht ist, was leicht aussieht: diesem Irrtum wäre ich gerade eben beinahe selbst aufgesessen. Ein gutes Zeichen für „The Spa“ (Sky Living — wieviele Unterkanäle hat dieses Sky eigentlich?!), die neue Sitcom von „Benidorm“-Creator Derren Litten.
Vor allem die Dialoge sind in dieser ersten Folge (in der man die Figuren logischerweise noch nicht so gut kennen kann, dass die Komik alleine aus ihrem jeweiligen Charakter entstehen kann) unglaublich lustig — auf eine schön altmodische, traditionelle Britcom-Weise, die aus einem missglückten Brief ein Tischfeuerwerk von Gags machen kann („I said ‚obese‘, not ‚a beast'“), aus einem über die Maßen gut bestückten, aber schon älteren Handwerker in viel zu engen Shorts einen visuellen Running Gag („My father was the same, that’s why they called him Moby, after Moby—„) und aus Depressionen und einem Selbstmordversuch reinstes Comedy-Gold („Meine Frau hat Depressionen. Postnatale Depressionen.“ — „Oh. Wann hatte sie denn ihr letztes Kind?“ — „1971.“). Schwarzes Comedy-Gold sozusagen. Good, clean fun — obwohl „The Spa“ selbstverständlich genauso obszön, derb und schlüpfrig ist, wie „Benidorm“ es schon war.
„The Spa“ spielt im titelgebenden Wellness-Center (und erinnert nicht nur deshalb ein wenig an „The Brittas Empire“, 1991 bis 1997 auf BBC1, das Litten aber nie gesehen haben will). Hier führt die Managerin Alison (die wunderbare Rebecca Front, zuletzt groß als Nicola Murray in „The Thick of It“) ein chaotisches und rohes Regiment, und zwar über eine homer-simpson-artig naive Rezeptionistin, einen übergewichtigen Fitness-Coach im Rollstuhl (Darren Litten himself), den schon erwähnten Handwerker mit dem Monsterpimmel (Tim Healey, ebenfalls in „Benidorm“ zu sehen) und noch einige andere hippieske, militärisch aggressive oder depressive Angestellte.
Die Figuren sind alle mit einem eher groben Pinsel gezeichnet, aber, wie gesagt, es war ja nun auch erst eine einzige Episode zu sehen, und der hat genau diese pastöse Art des Farbauftrags eher geholfen. Vor allem einfältige Charaktere beherrscht Litten großartig, und natürlich waren und sind es immer eben diese, die die schönsten Pointen liefern; man denke nur an Father Dougal aus „Father Ted“ oder eben an Homer Simpson. Hier ist es vor allem Rezeptionistin Sally (Niki Wardley), die z.B. auch mit der Information in Alisons Büro platzen darf, dass die greise Putzfrau Rose (Vilma Hollingbery) suizidale Absichten hat:
Sally: I’m sorry, it’s Rose, she’s on the roof.
Alison: What? What do you mean?
Sally: The top part of the building.
Endlich mal wieder eine Sitcom, deren erstes Ziel es ist, komisch zu sein, und nicht etwa clever, tabuverletzend oder gleich schockierend. Ah, da fällt mir ein, ich muss ja auch noch die ersten beiden Folgen „Derek“… Seufz.
Unterhaltungsliteratur (wie etwa die momentan äußerst erfolgreiche Romantrilogie von Stieg Larsson) bedient sich einiger Tricks, um ihre Leser in Bann zu schlagen: Sie ist kritisch genug gegenüber Systemen, um sich von rein affirmativer Trivialliteratur zu unterscheiden, befeuert die Phantasie des Lesers/der Leserin aber wie diese durch gezielt gestreute Liebesplots und sexuelle Abenteuer, und hält durch zopf-artig verwobene Storylines genügend Abwechslung bereit, um auch ungeübte Leser bei der Stange zu halten. Vor allem aber schlägt sie ein langsames Tempo an und wiederholt alle für das Verständnis der Handlung wichtigen Informationen so oft, daß auch vorübergehend unkonzentriertes Lesen niemanden aus dem Buch wirft — unter anderem deshalb sind etwa Larssons Bücher auch dermaßen dick.
Im Fernsehen arbeiten Soap Operas und Daily Soaps mit ähnlichen Mitteln. Sind sie schlecht, merkt man die minütliche Wiederholung relevanter Wissensfragmente z.B. über den Charakter einer Figur an grottigen Dialogen („Daß Tanja ein Scheusal ist, weiß ich schon, seit sie meine Katze in den Betonmischer geworfen hat!“); bessere Soaps bauen solche Informationen subtiler ein. So wie die Krankenhaus-Soap-Sitcom, die so innovativ, unkonventionell und komisch war, daß sie in England zunächst nur ein kleines, aber dafür umso fanatischeres Gefolge hatte, alsbald zum Kult wurde und nun in meinen Top-10-Britcoms der Nullerjahre auf Platz zwei angelangt ist:
„Green Wing“ (2004 — 07, Channel 4)
„Green Wing“ erzählt in der Form einer Ensemble-Sitcom die Geschichte einer Krankenhaus-Belegschaft: Caroline Todd, zu Beginn der Serie Neuzugang in der Chirurgie, ist schon bald zwischen dem charmant-lässigen Dr. Mac und dem arroganten Anästhesisten Guy hin- und hergerissen; die Personalchefin Joanna Clore fügt ihrer obsessiven erotischen Beziehung zum Chefradiologen und Hochgeschwindigkeitsneurotiker Alan Statham ständig neue, bizarre Facetten hinzu; Statham führt einen lächerlichen Kleinkrieg mit dem Arzt im Praktikum Boyce, und Sue White, Staff Liaison Officer und damit Vertrauensfrau des Krankenhauspersonals, scheint komplett wahnsinnig zu sein. Jede Folge beschreibt einen Arbeitstag, und das Drehbuch spielt dabei alle mathematisch möglichen Begegnungen zwischen den Charakteren konsequent durch, den oben aufgeführten wie etlichen anderen, — mit immer wieder neuen, unfaßbar komischen Ergebnissen.
IstCaroline die Identifikationsfigur für den Zuschauer, so stellt das Nervenbündel Statham eines der komischen Epizentren der Serie dar: Der permanent haspelnde, verklemmte Statham mit seiner autoritätsheischenden, aber erbärmlichen Art ist die Zielscheibe des allgemeinen Spotts, und selbst wenn er sich mal an Boyce und seinen kindischen Pranks rächen will und seinerseits einen practical joke inszeniert, geht das nach hinten los:
Eine Auseinandersetzung über einen Parkplatz in nächster Nähe zum Krankenhaus, wie ihn Mac hat, Statham aber nicht, kann schon mal zu Besessenheit führen, die mit einem Streit mit dem Parkplatzpersonal beginnt…
…und mit dem Verspeisen einer Gallenblase endet:
Die Handlung der Serie ist typisch für Soaps: Mac und Guy tragen ihre Rivalitäten aus, Joanna Clore fürchtet sich vor dem Altwerden und würde deshalb gerne eine Affäre mit dem farbigen IT-Experten beginnen, Caroline schmeißt eine House-Warming-Party, Martin muß sich Prüfungen unterziehen und Mac überlegt, das Krankenhaus zu verlassen und woanders eine bessere Stelle anzunehmen.
Sensationell an „Green Wing“ ist aber, wie innerhalb dieser Soap die Figurencharakterisierung durch beständige Wiederholung funktioniert: Indem nämlich die Körpersprache der Figuren ebenso durch Zeitraffer und Zeitlupen verdeutlicht wird wie durch visuelle Gags, lange Einstellungen und einen brillianten Soundtrack und durch sketchartige Vignetten, nämlich die beschriebenen Zusammentreffen der Figuren in allen denkbaren Konstellationen. In diesen Miniaturen werden Charaktere so präzise porträtiert, wie es Dialoge kaum könnten — etwa in dieser Szene, wo Boyce und Martin um die Wette aus Schokoriegeln Türme bauen und Sue White dazukommt:
Überhaupt ist Sue White neben Statham eine weitere schillernde Figur, weil sie vollkommen unberechenbar ist:
Diese Mischung aus handlungstragenden und nur charakter-basierten Sketchen schlug sich in der Drehbucharbeit in unendlich vielen Zetteln nieder, die zusammen eine Folge ergaben und die, von den Autoren geschrieben, vor der Produktion immer aufs neue arrangiert wurden: für die Story relevante Szenen auf Zetteln in einer Farbe, freie Gags in anderen Farben, so lange umgruppiert und verschoben, bis stimmige, runde Episoden dabei herauskamen.
„Green Wing“ lebt zum einen von dieser außergewöhnlichen Herangehensweise, zum anderen aber von dem phantastischen Cast. Der ging, allen voran Stephen Mangan (Guy) und Michelle Gomez (Sue), so in seinen Rollen auf, daß etliche Szenen durch Improvisationen noch komischer wurden, als die Autoren sie vorher geschrieben hatten — sehr zum Leidwesen letzterer. Tamsin Greig (als Caroline) hatte sich zuvor in „Black Books“ Meriten erworben, Mark Heap (Statham) desgleichen als der Künstler Brian in „Spaced“, Oliver Chris (Boyce) war bereits aus „The Office“ bekannt. Sarah Alexander („Coupling“, „The Worst Week of My Life“), Michelle Gomez als Sue White („The Book Group“) und Pippa Haywood („The Brittas Empire“) unterstützten sie nach Kräften, in der zweiten Staffel ergänzt durch Sally Phillips („I’m Alan Partridge“). Hinter der Serie steckte das Team, das zuvor mit der Frauen-Sketchshow „Smack the Pony“ populär geworden war, allen voran Produzentin Victoria Pile, und hinter dem Soundtrack Trellis aka Jonathan Whitehead, der auch für „Nathan Barley“, „Black Books“, „Brass Eye“ und „The Day Today“ den Soundtrack besorgt hat.
Einziges Manko von „Green Wing“ ist, daß die zweite Staffel gegen Ende das hohe Niveau des Anfangs nicht mehr ganz halten konnte und mit einem Special endet, das ein wenig enttäuschte, weil es nicht mehr in der vertrauten Krankenhausumgebung spielte und die großen Erwartungen, die die Fans darauf gerichtet hatten, nicht erfüllen konnte. Dennoch ist „Green Wing“ eine der hierzulande weitgehend unbekannten Britcoms, die größere Bekanntheit, ja: unbedingtes Fantum auf jeden Fall verdient haben. Schon für diese Szene, in der Sue White einen schönen Teller Nabelschnüre ißt, was Guy allerdings erst nach einer beherzten Kostprobe erfährt:
PS: Ein Tip, der sich schon mehrfach bewährt hat: „Green Wing“ funktioniert bei vielen Zuschauern erst mit und nach der zweiten Episode, möglicherweise, weil man sich an den Stil erst gewöhnen muß, weil die erste Folge zum Teil aus der Pilotfolge besteht (mal drauf achten: Macs Frisur ändert sich in der ersten Episode mehrfach) oder weil erst die zweite Folge eine Serie überhaupt erst zur Serie und serielle Momente augefällig macht.
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