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Artikel Tagged ‘Zawe Ashton’

Dramatische Höhepunkte

28. November 2018 Keine Kommentare

An britischen Dramaserien herrschte dieses Jahr gewiss kein Mangel. Und an guten noch dazu. Jed Mercurios „Bodyguard“ (BBC1) konnte für BBC1 die besten Quoten seit zehn Jahren einfahren, Hugo Blicks „Black Earth Rising“ (BBC2) und Mike Bartletts „Press“ (BBC1) bei der Kritik zumindest die etwas under par gebliebenen Dramaserien des Frühjahrs ausgleichen, von denen etliche allerdings immer noch recht sehenswert waren — etwa David Hares „Collateral“ (BBC2 & Netflix, mit Carey Mulligan), „McMafia“ (BBC1 & AMC), eine Serie, die so gut in der Darstellung russisch-britischer Geldströme war, dass ein eigenes Gesetz nach ihr benannt wurde, und „Trust“, wenn man diese als britische Serie werten möchte, denn trotz britischer Autorenschaft (Simon Beaufoy), Regie (Danny Boyle) und Thematik (der Getty-Clan wurde zwar in den USA stinkend reich, stammte aber aus Großbritannien) ist sie natürlich eine FX-Serie.

Um Comedydrama war es 2018 schon nicht mehr ganz so gut bestellt: da fallen mir zunächst eigentlich nur „Killing Eve“ ein (BBC America), Phoebe Waller-Bridges stylishe Serie um die enigmatische Profikillerin Villanelle (Jodie Comer), die schon beinah Züge von Superhelden hat, und ihren gänzlich unglamourösen Widerpart, die MI5-Innendienstmitarbeiterin Eve Polastri (Sandra Oh). Dann war da noch die Miniserie „A Very English Scandal“ (BBC1), die den Jeremy-Thorpe-Skandal von 1976 – 79 um einen liberalen englischen Parlamentarier (Hugh Grant) und die Folgen seiner homosexuelle Affäre mit dem leicht persönlichkeitsgestörten Norman Josiffe (Ben Whishaw).

Und „Wanderlust“ (BBC1 & Netflix, seit September).

Ja, wanderlust ist ein Germanismus, ein ins Englische entlehntes deutsches Wort wie wunderkind, wiederganger und weltschmerz, und hier steht es für das Fernweh in langjährigen Beziehungen wie der zwischen Joy und Alan Richards (Toni Collette und Steven Mackintosh). Die Sehnsucht nach dem Fremden also, wenn die sexuelle Anziehungskraft des einen Menschen, mit dem man sich für immer und ewig gebunden hat, irgendwann eingeschlafen ist. Wie es bei langjährigen Ehepaaren vorkommen soll.

Wanderlust attestieren auch Joy und Alan sich, immerhin ist sie ohnedies Psychotherapeutin und kennt sich also aus, und schlägt in der Folge vor, dieser wanderlust doch ganz unverbindlich nachzugeben, sprich: eine sogenannte „offene Beziehung“ zu führen, in der man sich nicht gleich trennt, sondern erst noch im gegenseitigen Einverständnis Affären hat, über die hier dann auch noch die (schon halbwegs erwachsenen) Kinder unterrichtet werden.

Keine Überraschung, dass „Wanderlust“ denn auch stark von a) Dialogen und b) Sexszenen dominiert ist. Letztere sind in der Wahrnehmung der Serie denn auch sehr dominant, sowohl in der Kritik als auch in meiner Erinnerung, obwohl sie keineswegs freizügiger sind als englische Serien sonst, m.a.W.: gar nicht. Statt auf Entblößung setzt „Wanderlust“ auf mimische Reaktionen, so dass wir zwar sexueller Aktivität (und auch reichlich Passivität) beiwohnen, allerdings auf den Gesichtern der Beteiligten bleiben und uns so alles erspart bleibt, was außerhalb des Shots und unterhalb der Gürtellinie passiert.

Und, gute Güte, ist das oft peinlich. Absichtlich peinlich, versteht sich, cringe also, wenn Joy und Alan „es“ nach längerer Phase der Abstinenz gleich zu Beginn der ersten Folge mal wieder probieren. Sie hatte zuvor einen Fahrradunfall, der sie körperlich (und auch seelisch; darin liegt, wie wir später sehen werden, der Schlüssel der Serie) einschränkt, er einen Bart, der auch Frauen ohne Trauma im Zweifel lieber enthaltsam bleiben ließe.

Darüber (über Sex und den Unfall, nicht über den Bart) muss dann, siehe a), viel gesprochen werden. Und zwar so, wie es der leicht prätentiöse Titel „Wanderlust“ nahelegt: in pointierten Theaterdialogen. Tatsächlich liegt der Serie von Nick Payne sein gleichnamiges Theaterstück von 2010 zugrunde.

In diesen Dialogen, und auch hin und wieder in Monologen, wenn etwa von den Paaren, die bei Joy in Therapie sind, nur einer spricht (der sträflich unterbesetzte Andy Nyman), in diesen Dialogen also werden dann all die Konflikte verhandelt, die bei Beziehungsexperimenten wie diesen entstehen müssen: Selbstverständlich verliebt sich Alan dann doch in seine jüngere Kollegin Clare (Zawe Ashton, „Fresh Meat“). Klar lassen sich Jugendlieben wie die zwischen Joy und Lawrence (Paul Kaye, „Game of Thrones“) nicht ohne weiteres fortsetzen. Und selbstverständlich liegen unter der oberflächlich-sexuellen Dysfunktion nicht selten tiefere Konflikte, die Joy — in einer Episode, die wie eine bottle episode eine komplette Therapiesitzung bei ihrer Supervisions-Therapeutin Angela (Sophie Okonedo) abbildet — schließlich auch durchschaut.

Lediglich die Kinder scheinen unter den Eskapaden ihrer Eltern nicht zu leiden. Was nicht bedeutet, sie hätten keine sexuellen Probleme, nur haben diese offenbar keine direkte Verknüpfung mit denen ihrer Eltern. Das hätte wohl auch nicht in den, wie oft bei der BBC, leicht pädagogischen Subtext der Serie gepasst (den ich zuletzt bei „Press“ ein wenig zu aufdringlich fand).

Man merkt schon: Ich bin kein Fan geworden. Dabei ist „Wanderlust“ durchaus unterhaltsam, intelligent und schön gefilmt. Luke Snellins Regie tut ihr bestes, den Theaterdialogen kinogroße Bilder entgegenzusetzen. Toni Collette ist zu Recht eine große Schauspielerin, die seit „About a Boy“ (2002) immer wieder interessante, gebrochene Frauenrollen gespielt hat. (Und deren australische Herstammung man ihrem Englisch wohl selbst als Brite nicht anhört.)

Aber das Feld von Komödie und sexuellen Neurosen ist nicht zuletzt in Woody Allens Lebenswerk schon so oft beackert worden, dass diese — zugegeben sehr englische — Variante dann doch letztlich einen Ticken zu erwachsen war.

Endlich Frischfleisch

30. September 2011 1 Kommentar

Sechs Erstsemester ohne Gemeinsamkeiten ziehen in ein Studentenhaus — das ist die Prämisse von „Fresh Meat“ (Channel 4, bislang zwei Folgen ausgestrahlt). Da wäre die niedliche Josie (Kimberley Nixon) aus Wales, die etwas furchterregende Vod (Zawe Ashton) sowie Oregon (Charlotte Ritchie), mittelste Mittelklasse, gute Studentin und stets von der Befürchtung geplagt, langweilig zu sein. Und die Jungs: der sympathische Kingsley („Inbetweener“ Joe Thomas), ein schnöseliger Oberschichts-Affe namens JP (Jack Whitehall) und Howard (Greg McHugh), ein merkwürdiger schottischer Nerd (der einzige, der schon seit Längerem im Haus wohnt). Einen siebten Mitbewohner namens Paul gibt es zwar — zu sehen kriegt man ihn aber nie.

https://www.youtube.com/watch?v=QsDnApqgREw?version=3&hl=de_DE

Eine Ensemble-Comedy also, mit Charakteren, die schon in der ersten Episode zum Leben erwachen: Nach einem sehr unbehaglichen ersten Kennenlernen von fünf der Mitbewohner trifft Kingsley im Pub auf das rich kid JP. Der spricht ihn auf der Toilette an und lädt ihn auf ein Näschen Koks ein — allerdings nicht, weil er so großzügig wäre, sondern weil er das Zeug geschenkt bekommen hat und jemanden braucht, der für ihn testet, ob es wirklich Koks ist. Und ob es nicht am Ende vergiftet ist. Kingsley kann wenig später bei einem gutaussehenden Mädel landen, was die aus der Ferne ein bißchen in ihn verknallte Josie so enttäuscht, daß sie sich JP an den Hals wirft und später mit ihm im Bett landet — nur um am nächsten Morgen festzustellen, daß sie ihn a) nie wiedersehen möchte und b) jeden Tag wiedersehen wird, weil er nämlich der letzte noch fehlende Mitbewohner ist.

Wenig davon scheint neu zu sein, weder Setting noch Stil, aber bevor ich erkläre, warum „Fresh Meat“ trotzdem die wichtigste neue Comedy des Jahres werden könnte, hier die beiden wichtigsten Referenzen:

„Spaced“ (Channel 4, 1999 – 2001). Nicht nur das Studentenhaus aus „Fresh Meat“ sieht wie eine verlotterte Version des „Spaced“-Hauses aus, auch Howard ist eine Version von Mike (Nick Frost), und Oregon hat mich mehr als einmal an Daisy (Jessica Stevenson bzw. mittlerweile Hynes) erinnert. Die Situation selbst ist ebenfalls nicht ganz unähnlich: Tim (Simon Pegg) und Daisy kannten sich schließlich ebenfalls kein bißchen, als sie zusammengezogen sind. Die zweite Folge in beiden Serien drehte sich um eine Housewarming-Party (da hören die Gemeinsamkeiten der Partys aber auch schon wieder auf). Die Wärme, mit der die Charaktere in „Spaced“ gezeigt werden, ist in „Fresh Meat“ auch da — Josie und Kingsley jedenfalls sind mit genügend Charme gesegnet.

„Skins“ (E4, seit 2007). „Skins“ hat Maßstäbe gesetzt, was authentische Jugendliche in Serien angeht, die an ebendiese Zielgruppe adressiert sind. Wie „Skins“ kommt auch „Fresh Meat“ in Comedy-Drama-Episodenlänge (45 Minuten) daher, beides spielt im Norden Englands (Bristol/Manchester), hie wie da gibt es Regie-Mätzchen, die ambitioniert sind, aber nicht überambitioniert. Die Idee, SMS-Texte einzublenden, hat sich „Fresh Meat“ von „Sherlock“ geborgt.

Sam Bain und Jesse Armstrong („Peep Show“, „The Thick of It“) machen alles richtig: Sie verzichten auf allzu hassenswerte und larger than life-Figuren (wie etwa Andy Nymans Jonty de Wolfe in „Campus“, der mißratenen anderen Universitäts-Comedy des Jahres vom „Green Wing“-Team, ebenfalls Channel 4), stattdessen gibt es realistischere Situationen und Stories sowie Charaktere, zu denen man als Zuschauer unmittelbar Anschluß findet. Dafür wählen sie einen Regie-Stil, der auf allzu großen Realismus verzichtet, weggeht von allem Dokumentarischen und Semidokumentarischen, und hin (bzw. zurück) zu den elaborierteren Erzählformen gerade aktueller Drama- und ComedyDrama-Serien. Kurz: Weniger „The Office“, mehr „Spaced“.

Das aber halte ich für die Comedyform der Zukunft: Keine Wackelkamera und Riesenarschlöcher mehr, dafür kunstvollere Erzählweisen und familienkompatiblere Geschichten. Mag sein, man muß sich daran erst wieder gewöhnen — die zweite Folge „Fresh Meat“, vom „The Thick of It“-Autor Tony Roche, hatte zwar einen guten bis sehr guten Plot, allerdings fehlten ihr für die volle Punktzahl dann doch ein, zwei Knaller-Pointen. (Abgesehen davon, daß Robert Webb in seiner Gastrolle als Uni-Prof mich nicht nur schmerzlich an mein eigenes Alter erinnert hat [ich meine: Robert Webb! Als Uni-Prof!!], sondern auch die allzu platte Karikatur eines anbieternden Dozenten war.)

Größtes Manko von „Fresh Meat“ dürfte die dreiviertelstündige Form sein. Auf eine halbe Stunde eingedampft wäre die Show ohne weiteres die beste Sitcom der Saison. So aber könnte es sein, daß die Autoren noch ein, zwei Folgen brauchen, bis die Serie völlig ausbalanciert ist. Die Chancen dafür aber stehen gut, und vielleicht markiert „Fresh Meat“ ja in der Rückschau in ein paar Jahren den Wendepunkt der Comedy in den Zehnerjahren. Schaumermal.